Ist die Mobilitätswende auch ein Generationenkonflikt?

Moritz Tapp (links) und Tobias Hocke beurteilen die Chancen neuer Technologien für die Verkehrswende unterschiedlich. Fotos: privat

Am 4. und 5. September 2023 veranstaltet die Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (DVWG) ihren Jahresverkehrskongress in Wuppertal. Mit dabei sind auch Wirtschaftsjunioren und BUNDjugend. Mobility Impacts sprach mit ihnen über die Sicht junger Generationen auf die Mobilitätswende.

Im Mittelpunkt des Jahresverkehrskongresses steht diesmal das Thema Mobilität und Energie. Die Wirtschaftsjunioren sind der größte Verband von jungen Unternehmerinnen, Unternehmern und Führungskräften in Deutschland. BUNDjugend ist die Jugendorganisation des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. Beim Kongress nehmen Vertreter der Organisationen an der Podiumsdiskussion „Forschung. Fortschritt. Future“ teil. Wie blicken jüngere Generationen auf das Thema Verkehrs- und Mobilitätswende? Und was muss passieren, damit diese vorankommt? Georg Kern von Mobility Impacts sprach darüber mit Tobias Hocke (30), Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren und Gründer und Geschäftsführer des Birenbacher Unternehmens bluewire.solutions, und Moritz Tapp (22), Bundesvorstandsmitglied der BUNDjugend.

Herr Hocke, Herr Tapp, glauben Sie, dass jüngere Menschen anders auf das Thema Verkehrswende blicken als ältere?

Hocke: Ich meine ja. Ein Unterschied, um nur ein Beispiel zu nennen, ist sicherlich das Thema Besitztum. Jüngere Generationen legen etwa deutlich weniger Wert darauf, ein eigenes Auto zu haben. Das eröffnet neuen Formen der Mobilität wie Car-Sharing oder Mobility-as-a-Service ganz neue Möglichkeiten. Die Bereitschaft solche Angebote zu nutzen, ist tendenziell größer.

Herr Tapp, wie sehen Sie das?

Tapp: Genauso. Es gibt aber noch viele weitere Unterschiede. Die Finanzkraft junger Menschen etwa ist in der Regel deutlich geringer. Damit bleiben ihnen gewisse Transportmöglichkeiten von vorneherein verwehrt. Denken Sie etwa an den eigenen Pkw - oder den ICE. Für viele junge Menschen ist es völlig ausgeschlossen, mit dem ICE zu fahren, weil die Ticketpreise viel zu hoch sind. Hinzu kommt ein größeres Sicherheitsbedürfnis gerade bei Kindern. Für sie ist Verkehr generell eine viel größere Gefahr als für Erwachsene.  

Würden Sie soweit gehen zu sagen: Die Verkehrswende ist auch ein Generationenkonflikt?

Hocke: Das ist ein hartes Wort. Ich würde es anders formulieren: Allein die Tatsache, dass jüngere und ältere Menschen unterschiedliche Perspektiven auf die Verkehrswende haben, zeigt, wie vielschichtig und komplex das Problem ist. Es durchkreuzen sich einfach unglaublich viele Interessen unterschiedlichster Akteure. So erklärt sich sicher auch, weshalb wir nur schrittweise vorankommen bei dem Thema. Die Politik hat da wirklich ein dickes Brett zu bohren. Das muss man fairerweise auch im Blick haben, wenn man über das Thema diskutiert.

Tapp: Mir fällt da das Beispiel Friedrichstraße in Berlin ein. Erst war sie eine Autostraße, dann eine Fußgängerzone, jetzt sind Autos wieder erlaubt – und die Zukunft ist mit der neuen Regierung ungewiss. Solche Entwicklungen empfinde ich als extrem frustrierend. Sie zeigen, dass es bei der Mobilitätswende vielfach um Verteilungskonflikte von öffentlichem Raum geht. Viele Menschen wollen Veränderungen und tragen diese gerne mit, auch weil sie ihre Lebensqualität und Sicherheit in Städten massiv steigern würden. Einigen, vor allem sehr privilegierten Menschen, dient aber auch das aktuelle Mobilitätssystem, die aktuelle Verkehrspolitik, denn ihnen gehört der Raum. Es fehlt derzeit noch die große gesellschaftliche und insbesondere politische Anstrengung dafür, öffentlichen Raum gerecht für alle Menschen nutzbar zu machen. Ich würde mir wünschen, dass die Mobilitätswende als Gerechtigkeitskampf verstanden und auch als solcher diskutiert wird.

Eine Möglichkeit wäre doch auch, einfach auf neue Technologien zu setzen. Ob autonom fahrende Autos oder grüner Wasserstoff im Zugverkehr: Da gibt es noch viel ungehobenes Potenzial.

Hocke: Grundsätzlich rennen Sie da bei mir offene Türen ein. Neue Technologien sind auf jeden Fall ein Teil der Lösung, da ist noch längst nicht das gesamte Potenzial gehoben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir von liebgewonnenen Angewohnheiten Abschied nehmen müssen. Ich denke da beispielsweise an den Shift vom Verbrenner zum E-Auto. Das erfordert sicherlich, Autofahrten künftig anders zu planen, etwa, indem man sein Auto vor einer Langstrecke an die Wallbox hängt. Ich halte solche Güterabwägungen aber für zumutbar. Es geht ja um ein gesamtgesellschaftliches Greater Good. Wichtig ist, dass wir zielgerichtet vorgehen und nicht unter einem Deckmantel der Technologieoffenheit Transformation ausbremsen. Ein E-Fahrzeug ist dem Wasserstoff und dem E-Fuel überlegen. Trotzdem werden wir Innovationen in Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe dringend benötigen, etwa in der Luftfahrt.

Tapp: Neue Technologien können zwar Teil von Lösungen sein. Aber wir sollten uns da auch keinen falschen Vorstellungen oder Versprechungen hingeben. Oft ziehen neue Technologien neue Probleme nach sich, lösen Probleme nur oberflächlich oder überhaupt nicht. Das E-Auto ist ein gutes Beispiel. Da hängt eine ganze Reihe schwieriger Fragen dran: Woher sollen die Rohstoffe für die Batterien kommen? Werden sie menschenrechtskonform und umweltverträglich abgebaut? Gerade beim E-Auto habe ich noch viele Fragen – im Kern bleibt es eben ein Auto mit bekannten Problemen. Gerade im ländlichen Raum meine ich, dass es sicher ein Teil der Mobilitätswende sein wird. Aber wir kommen nicht umhin, eine generelle Depriorisierung des Autoverkehrs vorzunehmen.

Stattdessen sollten wir künftig stärker auf ÖPNV und Bahn setzen?

Tapp: Ja, aber dazu müssen diese Verkehrsmittel viel konsequenter als bisher vom Staat unterstützt werden. Wir haben keine Chance, die Mobilitätswende durchzusetzen, wenn nicht insbesondere im ländlichen Bereich ein deutlich besseres Angebot geschaffen wird. In den Städten geht es auch darum, die Möglichkeiten für Fahrräder und Fußgänger deutlich zu verbessern. Auch das Verkehrsmittel Straßenbahn wird in Deutschland völlig unterschätzt. Ich studiere Raumplanung in Kaiserslautern. Mir blutet jedes Mal das Herz, wenn ich lese, wie gut ausgebaute Tramsysteme, ab den 1950er Jahren insbesondere in Westdeutschland systematisch zugunsten des Autoverkehrs abgerissen wurden. Heute bauen immerhin einige Kommunen diese Systeme wieder auf. Das kostet viel Geld, ist aber der richtige Weg.

Herr Hocke, weniger Autos, mehr ÖPNV, Straßenbahnen und Fahrräder: Ist das der richtige Weg?

Hocke: Ich würde Herrn Tapp ja gerne vollumfänglich zustimmen. Aber ich finde, wir müssen da auch realistisch bleiben. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir es schaffen, insbesondere im ländlichen Bereich ein ÖPNV-System aufzubauen und vor allem zu finanzieren, das eine echte Alternative zum Auto ist? Nein, der motorisierte Individualverkehr wird auch weiterhin Bestandteil unserer künftigen Mobilität sein. Auch möchte ich Herrn Tapp einmal gerne auf gewisse Widersprüchlichkeiten hinweisen, die ich innerhalb der Umweltbewegung sehe. Dort wird immer wieder gerne gefordert, das Verkehrsmittel Bahn auszubauen. Wenn es aber um konkrete Strecken geht, dann streitet man sich jahrelang um bestimmte Ökosysteme oder Insektenarten. Da wird es dann plötzlich schwierig mit der selbst eingeforderten Kompromissfähigkeit. Wir benötigen schnelle, effiziente und verbindliche Verfahren für Kompromisse, die dann von allen Beteiligten getragen werden. Das macht zuweilen auch unangenehme Zugeständnisse erforderlich.

Herr Tapp, dazu möchten Sie doch sicherlich etwas sagen?

Tapp: Definitiv. Es steht außer Frage, dass auch innerhalb der Umweltbewegung immer wieder unterschiedliche Interessen ausgefochten werden müssen. Und es gibt diesen Konflikt zwischen denjenigen, die den Klimaschutz stärker betonen und denjenigen, die mehr den Umweltschutz betonen. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, beide Krisen – die Klimakrise und die Biodiversitätskrise – gegeneinander auszuspielen. Es gilt, bei solchen Konflikten immer den Einzelfall zu betrachten. Und ich bin sicher, dass sich fast immer ein guter Interessenausgleich finden lässt. Dazu müssen dann aber auch diejenigen bereit sein, die unbedingt für den Bau eines bestimmten Infrastrukturprojekts sind. Diese Problematik stellt sich ja ohnehin vorwiegend beim Bau von Bahnstrecken. Das ändert ja nichts an unserer Sicht auf Themen wie die Depriorisierung des Autos, oder dass Verkehrsmittel wie Fahrräder stärker gefördert werden sollten.

Sie, Herr Hocke, plädieren also für die Vereinfachung von Planungsverfahren?

Hocke: Ich halte das für sehr sinnvoll. Über unser Familienunternehmen bin ich unter anderem mit dem Bau von Solaranlagen befasst. Ich weiß also aus eigenem Erleben, wie schwierig es oft ist, solche Projekte umzusetzen. Diese Verfahren müssen vereinfacht werden. Selbstverständlich müssen alle Stakeholder die Möglichkeit haben, ihre Sicht darzustellen. Sobald aber eine Entscheidung zur Umsetzung des Projekts gefallen ist, sollte es Planungssicherheit geben. Wenn auch im Nachgang das Risiko besteht, dass das Projekt gestoppt wird, erschwert das die Energiewende ungemein.

Stichwort Energiewende: Sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Verkehrswende. Es ist ja möglicherweise nicht viel gewonnen, wenn wir künftig alle mit E-Autos fahren oder mit mehr Straßenbahnen, der Strom aber nicht sauber produziert wird. Ist es da sinnvoll, am Automausstieg festzuhalten?

Hocke: Es mag Sie überraschen, aber ich halte diese Debatte um einen Ausstieg aus dem Atomausstieg für blanke Ideologie. Da werden von der Politik bestimmte Interessen bedient. Mit erneuerbaren Energien, Energiespeichern und Backup-Gas-Kraftwerken stehen uns alle Instrumente zur Verfügung, die wir für die Energiewende brauchen. Man müsste sich nur endlich klar zu diesem Weg bekennen. Das schließt übrigens Kompromisse auf Seiten der Umweltbewegung ein. Denn oft genug entzünden sich ja Konflikte um den Bau von Trassen für Wind- oder Solarstrom. Eine Rückkehr der Atomenergie sollten wir erst nach einer Kommerzialisierung der Fusionstechnologie erwarten.

Herr Tapp, diese Sicht auf die Atomenergie-Diskussion dürfte Sie doch erst einmal freuen?

Tapp: Unbedingt. Mein Eindruck ist, dass die Debatte um Atomenergie von Industrie- und Profitinteressen von einigen wenigen künstlich angetrieben wird. Volkswirtschaftlich ist Atomenergie Unsinn und durch immer häufigere Dürreperioden und niedrige Pegelstände alles andere als zuverlässig. Aber ich denke, es ist müßig und kostet wertvolle Zeit, darüber jetzt noch zu diskutieren. Der Atomausstieg ist ja beschlossene Sache. Jetzt gilt es nach vorne zu blicken und die Probleme der Energie- und der Mobilitätswende zu lösen. Das verstehe ich übrigens auch unter Kompromissfähigkeit: Das man in laufenden Debatten nicht immer wieder alte Probleme neu diskutiert, die schon längst gelöst sind.

Herr Tapp, Herr Hocke, danke für das Gespräch.

New Mobility
Artikel Redaktion Mobility-Impacts
Artikel Redaktion Mobility-Impacts